Die Künstlerin - Simone Cayé

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Die Künstlerin



Und hier noch ein Ausschnitt aus einer Einführung für eine meiner Vernissagen, die zwar bereits 2010 gehalten wurde, dennoch nach wie vor sehr anschaulich meinen künstlerischen Werdegang beschreibt:


Die Freiheit der blauen Sonne

Eine abgewrackte Fabrik, gesprenkelt vom Taubenmist. Stillgelegte Maschinen und bröckelnder Putz. Es ist kalt. Da schaut durch ein Fenster weit oben ein Elfenwesen, wirft Farbbomben in die Halle, dass es nur so spritzt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst: Das Elfenwesen ist in diesem Fall kein Bildmotiv von Simone Cayé, das war Simone selbst: Unerschrocken stand sie auf maroden Brettern. In mindestens fünf Metern Höhe. Bei eisiger Kälte in einem weißen Flatterkleidchen. So geschehen beim Dreh des Films „Dissonanz“ (1995). Die Szene gibt für mich in mehrfacher Weise etwas ganz Typisches wieder: Einmal Simones kompromisslosen Einsatz, wenn es um Kunst geht (ich wäre da ohne Absicherung niemals raufgeklettert!). Zum Zweiten die kindlich-anarchische Lust am Überraschen, die in dieser Filmfigur steckte und die auch in Simones Gemälden immer wieder aufblitzt. Und drittens erinnert mich die Szene daran, wie lange wir schon befreundet sind: Über 18 Jahre! In dieser Zeit haben wir – ja, auch nächtelang gefeiert oder über die verbesserungswürdige Welt diskutiert –, aber eigentlich meistens kreative Ideen ausgebrütet und umgesetzt – oft zusammen mit Partnern und Freunden. Ob wir durch Rosenheim liefen und Aufgeschnapptes zu Prosastücken verarbeiteten, ob wir ein Theaterstück von Dario Fo auf eine Kneipenbühne brachten, umständlich Fußspuren aus Mehl für die Special Effects eines Films bastelten oder im improvisierten Kellerstudio ein (später prämiertes) Hörspiel von Simone aufnahmen: Das Spielen mit verschiedenen Kunstformen war damals auch eine Lebensform für uns, um etwas Eigenes, Anderes gegen konforme Sichtweisen zu stellen.
Es folgte die allmähliche Konzentration auf ein ganz bestimmtes Feld des Schaffens: bei Simone auf die bildenden Kunst. Ich kann mich gut an ihre ersten Werke erinnern – Fischschwärme und kaleidoskopisches Laubwerk –, die in einer beengten Vierer-WG fast ausnahmslos auf alten Span- und Holzplatten entstanden. Vor ihrer späteren Wohnung im Dachstuhl eines alten Bauernhofs gab es diese ausgedehnte Tenne. Hier standen nun Simones inzwischen recht großformatige Bilder gestapelt und gereiht zwischen ausrangierten Möbeln, Bücherkisten, alten Fahrrädern und Schreinerwerkzeug – ein magisches Kabinett, in dem sich auch noch Werke des verstorbenen Künstlers Uwe Lausen fanden, der ebenfalls hier gelebt hatte. Ein Besuch bei Simone war und ist für mich immer verbunden mit diesem gespannten Blick auf ihre neuesten Werke. Die prangen aber eben nicht an den Wänden eines weiträumigen Ateliers (wie man es ihr wünschen würde), sondern stehen ganz bescheiden z.B. hinter der Türe des Wohnzimmers, wo die Künstlerin auf Wunsch die Schutztücher von denen neuesten Farbwelten zieht. Und dann erfährt man als Besucher auch immer originelle Details en passant, wie: Gefärbter Rasierschaum ist ein prima Werkmaterial! Oder: Mit gemusterten Küchenkrepprollen kann man hervorragend Hintergründe gestalten (nachzuprüfen bei der hier ausgestellten „Augenfischfamilie“).

Wenn ich so bei Simone am Küchentisch sitze, denke ich mir manchmal: Wie schafft man es nur, als Alleinerziehende mit zwei Kindern im aufreibenden Alltag sich so konsequent dem „Eigentlichen“ zuzuwenden und Zeit zu finden für die Malerei – und das seit nun gut 15 Jahren!? Das hat unbestreitbar mit dem inneren Antrieb zu tun, aus dem sich jede echte Kunst speist. Hätte Simone ihre Bilder nicht je aus diesem Drang heraus realisieren müssen (Zitat: „Ich kann gar nicht anders“), so stände sie nicht jeden Abend (es gibt, versicherte sie mir, allerhöchstens eine Ausnahme pro Monat), also: jeden Abend, wenn die Kinder schlafen, in der Küche und breitete zwischen Spüle und Holzofen und Fenster ihre Leinwände aus und erschüfe diese üppigen Farbwelten! Es sind Welten des bewahrten kindlichen Blicks – also eines Blicks, der sich trotz der Erfahrung von Widrigkeiten und Missständen immer wieder selbst rettet – wie Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht.

Und wie Münchhausen, so sind auch Simones Bildräume voller Schalk. Nicht selten greift die Künstlerin beispielsweise bekannte Symbole, Zitate und Motive auf, um diese neu zu kontextualisieren und augenzwinkernd zu verfremden: Etwa beim jungen Simplicissilino, dessen Besonderheit und spätere Karriere als grimmiges Zeitschriftenmaskottchen sich schon auf dem Cayé’schen Hundeklassenfoto erahnen lässt. Und natürlich kann man das Motto dieser Ausstellung „Wir sind doch alle Individuen“ affirmativ verstehen. Aber blitzt da nicht bei der einen oder dem anderen auch die Erinnerung an den Monty-Python-Film „Life of Brian“ auf, wo Brian diesen Satz der ihn anbetenden Masse zuruft, um klarzumachen, dass sie ihm nicht nachlaufen soll, und alle skandieren blökend im Chor nach: „Ja, wir sind alle Individuen.“? Dieser Witz ist immer auch mit Ernsthaftigkeit gepaart, mit dem Anstoß zum Mit- und Nachdenken, zum noch einmal genau Hinschauen: Wer sähe nicht nach der Lektüre des Titels „…, brummm, sagte die Kröte“ auf dem Autobild plötzlich (gar nicht abgebildete) zerquetschte Amphibien, wie sie sich bei der Krötenwanderung zu Hunderten auf den Straßen finden? Im Wechselspiel mit den Titeln entsteht ein Hinterraum der Assoziationen im Kopf, der den Rahmen der Bilder sprengt. Und welch produktive Reibung wird erzeugt, wenn ein Gemälde, das vor Überlagerungen und Details nur so wimmelt, den Titelt erhält: „… und plötzlich ist das Leben wieder schön“? Das Leben ist grässlich, schmerzhaft, chaotisch – das Leben ist innig, hinreißend, voller Wunder. Beides stimmt. Beides erhält hier, in den Werken von Simone Cayé seine Gültigkeit.

Und so sind, meine ich, Simones Bilder überhaupt: heiter und ernst zugleich, magisch und ironisch, statisch und bewegt, Kaleidoskop und Theater. Die Mehrwertigkeit, das Hybride, findet sich auch bei vielen ihrer Motive. Da ist eine Eule, die im Gewand eines Paradiesvogels auftritt und als „Zaubereule“ „machen kann, dass alles wieder gut wird“. Da gibt es Augenfische, Blumenwellen und Elfenhelfer. Surreale Verwandlungen, als sei eine Nabelschnur ins Traumreich verlegt worden. Oft swingen die Gemälde regelrecht im komplementären Zusammenspiel der Farben Blau und Rot. Das Leuchtende und Fantastische belebt diese Bilder, sie öffnen einen Durchbruch zu inneren Welten. Hier ist es mehr als selbstverständlich, dass eine Wiese orange oder türkis ist.

Das ist ja das Schöne am Malen: Die Sonne darf auch blau sein!“ Wenn Simone ihren jüngsten Kursteilnehmern (denn sie gibt auch Kunstkurse), diese besondere Freiheit der Kunst nahelegt, dann löst das – wie sie mir erzählte – zunächst immer großes Gelächter aus, wird aber dann von den Kindern eifrig und mit Begeisterung umgesetzt. Und wie denn auch nicht: Wo sonst im öffentlichen Raum als in der Kunst hätten wir diese unumstößliche Lizenz zu Grenzüberschreitungen und zur Aufhebung logischer Gesetzmäßigkeiten. Und so ergänzt und erweitert die Kunst – als Bild, als Wort – die sogenannte Realität und füttert uns mit Erstaunlichkeiten, die wir im Alltag oft so gern übersehen. Hier darf man die Blicke in Traumblasen und Baumpfützen spiegeln und „die Vor- und Nachteile des Gänsemarsches erörtern“ (wie einer der Titel nahelegt).
(…..)

Karin Fellner


 
Mittlerweile hat sich mir der Traum eines eigenen Ateliers erfüllt und meine Kinder gehen in der Regel nach mir ins Bett.

Simone Cayé

 


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